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Und immer wieder das Licht

Tunesien - GEA-Mitarbeiterin Elke Dekanski überwindet ihre Bedenken und lässt sich von einer fremden Kultur verzaubern

GEA-Mitarbeiterin Elke Dekanski in der Wüste.

Angefangen hat alles mit einem Mitreiseangebot vor zwei Jahren. Eine Freundin hat mit ihrem Frauenstammtisch eine Trekkingtour durch die tunesische Sahara gebucht. Soll ich mit? Nein, zu viele Vorbehalte, Ängste vor Schlangen, Skorpionen, Kamelen, Bruthitze, Sandsturm etc..
Dann sehe ich zufällig den Film: Der englische Patient. Eine Vision von Stimmung, warmen Farben, eine Idee von der Faszination des gelben Lichts. Ich ärgere mich darüber, dass ich mich von meinen Bedenken selbst ausbremsen lasse.
Zwei Jahre später nehme ich das zweite Angebot an. Die Idee, die mich gepackt hat, macht mutig. Ich wag‘s einfach - die letzte Reise haben auch alle überlebt - warum nicht auch diesmal? Eine Woche im November 2006 soll es sein, Kultur und zwei Tage hoch zu Kamel durch die Wüste inklusive.
Elf Frauen landen in Monastir. Aslema: Guten Tag. Taxen bringen uns nach Sousse. Eine fremde Welt offenbart sich, fast alles ist fremd; die Architektur, überall Kuppeln und Schnörkel, Moscheen mit sehr schönen Minaretten, auch Baracken, abblätternde Farbe und Gebäude mit islamischer Ornamentik, denen ein Farbenmeer aus Kacheln orientalischen Zauber verleihen.

Turbulentes Treiben
Blick auf ein Verkehrschaos, das sich als solches doch nicht bestätigt: Eselskarren fahren zwischen zerbeulten meist französchen Autos und frisierten Mofas, jede Menge Fußgänger, weil die Trottoirs mit Waren oder sitzenden Männern besetzt sind. Hupenspektakel, Turban und lange Gewänder.
Männer, hauptsächlich Männer in den Cafés und auf der Straße. Die wenigen Frauen, die man sieht, sind selten verschleiert, tragen aber Kopftücher. Verblüfft entdecke ich Jeans tragende Mädchen vor Schulgebäuden. Ich bin beruhigt, das Frauencafé wird eine Einheimische eröffnen.
Wir fahren mit Mietwagen gen Süden ins Atlasgebirge. Braun-orangefarbenes Gestein, der Regen hat tiefe Rillen aus den Hügeln gewaschen - die waagrecht einfallende Abendsonne bringt die karge Landschaft zum Glühen. Hin und wieder sieht man Hirten mit Ziegen oder vereinzelte Kamele ohne menschliche Begleitung.

»Vorsicht Dromedare!«
Wir lachen uns über die Straßenschilder »Vorsicht Dromedare« kaputt. Tatsächlich müssen wir hin und wieder anhalten, weil die Herrschaften das Bedürfnis verspüren, die Straße zu überqueren.
Wir übernachten in einem Hotel in der Region Tamerza im Atlasgebirge mit einem gigantischen Ausblick auf eine Ruinenstadt mit Dattelpalmenhainen. Das Gestein erglüht im Licht der Tageszeiten in den unterschiedlichsten Farbnuancen. Auch hier ist das faszinierende Abendlicht wieder das absolute Highlight.
Wieso kann ich hier im Hotel duschen? Ich entdecke riesige Wasserrohre, die an ein Fernversorgungssystem gekoppelt sind - Wasser als Luxus.
Am nächsten Morgen ist eine Wanderung durch die Schlucht von Mides geplant. Ich flippe fast aus, als ich erfahre, dass in diesem Canyon »Der englische Patient« gedreht wurde!!!
Gegen Mittag geht‘s zur Bergoase Chebika. Dort erwerben wir wunderschöne Kristalle - naturfarben, die von Kindern angemalten Amethyste wollten wir dann doch nicht.
Wir setzen unsere Fahrt fort in Richtung Salzsee Chott El Djerid. Unterwegs sehen wir halbabgezogene Schafe vor spartanischen Metzgerbuden hängen. Das bedeutet: Frisch geschlachtet, hier erhalten Sie gutes Essen. Auch lebende Exemplare, an Pflöcken angebunden, tummeln sich fröhlich - noch! Mir graut ein wenig, aber als Nicht-Vegetarierin kann ich mich schlecht mokieren.

Lachsfarbener Salzsee
Kurz vor unserem nächsten Hotel in Douz, der Wüstenstadt am Rande der Sahara, erreichen wir in der Dämmerung endlich den Salzsee. Lachsfarben schimmert das Salz in der Abendsonne am zarttürkisen Abendhimmel. Es sind immer wieder die Farben, die mich hier verzaubern. Wir haben Glück. Eine halbe Stunde später ist es dunkel.

Kein Dreck
Am nächsten Morgen bringen uns Jeeps von Douz - (Allrad, sonst ginge nix) an den Rand der Sahara, einer versteppten Landschaft mit noch relativ viel Vegetation. Schon von weitem sehen wir altes Blechgeschirr und Wasserkanister im Dreck. Vier Kameltreiber, Chameliers genannt, sitzen in orientalischen Gewändern da. Die Dromedare sind schon mächtig groß und bewegen sich frei und wild verstreut in der Landschaft. Frei bedeutet: nicht angebunden!!
Sehr schnell kapiere ich, dass der Dreck sauberer Saharasand ist. Rein und schön und vor allem ganz fein - nix zum Ekeln. Sand, der nie nervt, wie man es vom Sandstrand her gewohnt ist.
Die angsteinflößenden Kamele erweisen sich dann, allerdings deutlich später, als liebe Tiere, die keinerlei Interesse an ängstlichen Touristinnen haben. Stoisch lassen sie sich mit 200 Kilo beladen und traben dann brav vor sich hin.
Bevor wir loslaufen oder reiten, bindet Ali jeder Einzelnen einen Turban, der wunderbar vor Sonne und Sand schützt. Ein logisch-konsequentes Accessoire, merke ich.

Doch nicht gebissen
Am Abend schlagen wir nach einer machbaren Wanderung unser Lager auf. Die Hitze hat mich nicht umgebracht, die Kamele haben nicht gebissen und wir haben uns auch in keinem Sandsturm verirrt. Gott sei Dank.
Eigentlich arbeiten nur unsere Kamelführer: Ali, Nasser, Feisal und Mohammed. Einer backt Brot: knetet Teig, schmeißt den Fladen in die Glut und deckt das Ganze mit Sand zu. Hilfe! Der Spießer in mir schreit auf und wird dann eines Besseren belehrt. Zwanzig Minuten später klopft der Koch den Sand ab und wir genießen ein wirklich köstliches Fladenbrot, ohne auch nur ein Staubkorn zwischen den Zähnen.
Ich frage mich, woher das Brennholz kommt. Erkennen kann ich nur vertrocknetes Gestrüpp - Ästchen, die die Wüste freigibt. Beim Sammeln ziehen wir daran und ganze Äste kommen zum Vorschein.
Wieder die faszinierende Abendsonne, die die Dünen in glühendes Gelborange taucht. Nach Couscous und Fleisch-Gemüsesoße trinken wir Tee am Lagerfeuer. Natürlich muss jede ihr Geschirr selber spülen - mit Sand. Das geht wirklich - sogar unsere Schuhe werden gepeelt, sie sind sauberer als vorher.

Stolz wie Bolle!
Nachdem die Nacht sehr schnell hereingebrochen ist, singen und trommeln unsere Führer am Lagerfeuer. Ich bin von nervigen arabischen Klängen ausgegangen und auf das Angenehmste überrascht. Wie im Traum erlebe ich das alles, lerne kleine Refrains und bin stolz wie Bolle!!
Die Nacht ist friedlich - kein Skorpion und auch die Schlange hat keine Lust auf einen Besuch. Das Schönste: Meine Bedenken sind weg - von mir aus können sie kommen, ich bin stark!!!!!!!
Kurz vor Sonnenaufgang erwache ich in einem Idyll aus lila, rosa und orangefarbenem Licht. Die Szene erinnert mich an künstliche Bühnenbeleuchtung - man kann den realen Hintergrund kaum fassen.
Nach der Tour am zweiten Tag holen uns Jeeps ab und bringen uns ins Camp Djebil. Die Fahrt ist irre und grandios. Wir rasen über Pisten und Dünen und Schlaglöcher, der Fahrer legt eine arabische Musikkassette ein, die Sonne scheint und die Lust des Fahrers am Rasen reißt uns mit.
Wir kommen an: Nur Sanddünen in weichem Hellgelb, die ein leichter Wind beständig abzutragen (ver)sucht. Ein paar vereinzelte Berberzelte sind aufgebaut, ein Bewirtungszelt und auch ganz reizende sanitäre Anlagen, deren Zauber in ihrem provisorischen Charakter liegt.
Hier finde ich meine Vision der Wüstenstimmung wieder und es vereinen sich Vorstellung und Realität aufs Schönste. Ich genieße bis zum Essen das Licht der Novembersonne.
Die Temperatur beträgt 25 Grad Celsius. Die Wüste muss nicht glutheiß sein - wieder ein Vorurteil weniger. Wir werden gut bewirtet, eine Trommel lädt zum Essen ein und dann bitten uns die Araber in die »Disco«. In Trachten spielen und tanzen sie und wir am Ende mit.
Nach einer ruhigen, leisen, stillen Nacht - keinerlei Geräusche, als auch die Quasselstrippe in unserem Zwei-Frau-Zelt endlich Ruhe gibt -, verlassen wir per Geländewagen das Camp, gut bepackt mit Flaschen voll Sand zur Erinnerung.
In Douz steigen wir in unsere Mietautos um und machen uns auf den Weg in die Region Matmata im Dahar Bergland. Typisch sind hier die Höhlenwohnungen, schwer erkennbar für ungeübte Augen - Löcher in den Felshängen. Bei näherer Betrachtung erkennen wir menschliche Behausungen, die Eingänge geschmückt mit Fischen und/oder der Hand von Fatima, der Tochter Mohammeds, die das Haus und seine Besitzer vor dem bösen Blick und Neid schützen.

Chamäleon an der Wand
Unsere Reiseleiterin organisiert eine Besichtigung und führt uns in eine fremde Welt. Der dunkle Eingangstunnel führt uns in einen sonnigen, runden Innenhof, von dem aus sternförmig Zimmer wegführen - besser gesagt Höhlen, fensterlose Höhlen im Berg. Angenehm kühl - im Sommer erreicht das Termometer an die 50 Grad.
Zum Schutz vor was auch immer hängt ein getrocknetes Camäleon an der Wand. Eine Mutter mit ihren zwei erwachsenen Töchtern und zwei Enkelkindern bietet uns Tee und Brot an. Getreide wird zwischen Steinen gemahlen, eine Vorführung für Touristen, nehmen wir an. Und Katzen, Hühner, Truthähne, Ziegen etc. nehmen rege am Leben im Innenhof teil.
Zum Abschied lassen wir ein paar Dinar liegen - die Bewohner dieser Region leben hauptsächlich davon. Die Bauweise dieser Wohnungen ist eine logische Entwicklung, die die Natur eben vorgibt. Im selben Stil ist unser nächstes Hotel gebaut, dessen Name übersetzt »Häuser der Berber« lautet.
Von Matmata aus fahren wir am nächsten Morgen über Gabes nach Sousse. Kurz vor Gabes hängen riesige Peperoni-Teppiche und laden zum Einkauf ein. Ich nehme nix, ist mir alles viel zu scharf. Das weiß ich von dem Essen in Restaurants, in denen es immer als Vorspeise Brot zu Dips aus Oliven und Harissa (rote Paprikapaste mit Öl und Knoblauch) gab.

Lecker!
In Gabes, der Stadt des Henna, machen wir einen kurzen Einkaufsstopp. Wir finden auf dem Bazar Khol, einem uralten Sonnenschutz der Nomaden für die Augen. Das Pulver besteht aus dem Chininpanzer des Camäleons und einem Mineral aus dem Atlasgestein in der Sahara. An einem Stand liegt einfach so ein Rinderkopf auf dem Tisch - lecker!!!
Die letzte Nacht verbringen wir in einem Hotel in Sousse, ein Fünf-Sterne-Palast in maurischem Stil und vielen modernen Glaselementen. Eine angemessene Herberge für lauter dreckige, verschwitzte Weiber, vor allem passen meine klobigen Wanderstiefel ganz irre zum Design. Das Personal lässt sich nichts anmerken und bietet uns freundlichst einen Begrüßungscocktail an. Die Zimmer haben Meerblick und einen geräumigen Balkon. Auch das Badezimmer ist sehr schön - vorläufig.

Großwild besiegt
Wir speisen am Abend - nach ausgiebigem Duschen - königlich und anschließend besuchen wir noch das Tanzcafé, das bald völlig in schwäbische Hand gerät.
Meine Zimmergenossin möchte vor dem Schlafengehen noch kurz Duschen. Um drei Uhr nachts?! Das hat sie nun davon: Ein stolzes Exemplar von Kakerlake sitzt hinter dem Duschvorhang. Sie - meine Freundin - flippt so lange aus, bis ich mein erstes Großwild erschlage. Die Entscheidung war einfach: Eine Hysterikerin ertragen oder einen Mord begehen?? Letzteres - ich will endlich ins Bett.
Elf Frauen steigen am nächsten Tag in Monastir ins Flugzeug. Reich an neuen Eindrücken und magischen Bildern, ausgetriebenen Vorurteilen und einem Wahnsinnssprachschatz - arabisch versteht sich -, steige ich müde und zufrieden in Stuttgart aus.

Schokran: Danke. Und Bislema: Auf Wiedersehen. (GEA)